
Protest Camp at
Weißekreuzplatz, Hannover
Ende Mai 2014 errichteten etwa 40 Sudanes:innen und ca. 20 Unterstützer:innen ein Protestcamp auf dem Weißekreuzplatz, einem zentralen Stadtplatz im Stadtteil Oststadt. Ziel war, die Zustände im deutschen Asylsystem öffentlich anzuprangern – Residenzpflicht, Isolation in Massenunterkünften, Arbeitsverbot, ständige Unsicherheit und fehlende rechtliche Würde.
Das Camp bestand aus bis zu 8 Zelten: Schlaf-Iglus, eine Gemeinschaftsküche und ein Infostand. Die Protestierenden verteilten Flyer mit Aussagen wie „Wir sind Refugees – aber vor allem Menschen“ und führten täglich öffentliche Gespräche über ihre Situation.
Sie begründeten ihre Forderung mit dem § 23 des Aufenthaltsgesetzes, der humanitären Gruppenbleiberecht ermöglichen kann :
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Anerkennung als Geflüchtete und Bleiberecht gemäß §23
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Abschaffung der Residenzpflicht und Lagerisolation
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Zugang zu Arbeit, Bildung und rechtlicher Unterstützung ab Antragstellung
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Würdevolle Behandlung und Gleichheit vor dem Gesetz
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Stop der Abschiebungen

In einer Podiumsdiskussion am 31. Juli 2014, organisiert mit Amnesty International und dem Bezirksbürgermeister, diskutierten die Aktivist:innen mit politischen Vertreter:innen wie Belit Onay und Doris Schröder‑Köpf über die rechtliche Umsetzung ihrer Anliegen.
Mehrere Demonstrationen wurden organisiert:
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20. September 2014: Großdemonstration unter dem Motto „Unser Recht. Genau hier. Genau jetzt“
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6. Dezember 2014: Kundgebung „talk is cheap“ – in Anspielung auf fehlende politische Umsetzung
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Initiativen wie Frieden Hannover und der Flüchtlingsrat Niedersachsen unterstützten logistisch, medial und politisch.
Nach fast zwei Jahren Protestbedingungen wurde das Camp am 26./27. April 2016 zwangsräumt. Während Demonstrant:innen in Gesprächen waren, räumte die Polizei, später ohne Rücksicht: Sitzblockaden wurden aufgelöst, Tränengas eingesetzt, Verletzte gab es. Die öffentliche Reaktion war gespalten: Einige Anwohner:innen begrüßten die Maßnahme, andere—darunter Vertreter:innen der Grünen—bewerteten das Camp als demokratische Intervention.

Auch wenn das Camp physisch längst verschwunden ist und der Weißekreuzplatz wieder Teil des städtischen Alltags wurde – das Vermächtnis dieses Protestes lebt fort. Leise, aber wirksam. Vergessen ist er nicht.
Was diesen Protest besonders machte, war seine Selbstorganisierung durch die Geflüchteten selbst – nicht initiiert von NGOs, nicht gelenkt von Parteien, sondern getragen von jenen, die das System der Ausgrenzung am stärksten betrifft. Es war eine seltene und kraftvolle Form gelebter Selbstbestimmung – von Menschen, über die sonst oft nur gesprochen wird.
Indem sie ihr Anliegen in das Zentrum der Stadt trugen, zwangen die Aktivist:innen Gesellschaft und Politik, sich mit den konkreten Folgen des Asylsystems auseinanderzusetzen: Isolation, rechtliche Unsicherheit, strukturelle Ohnmacht. Der Platz wurde zum Schauplatz einer Menschenrechtspolitik von unten – sichtbar, hörbar, nicht ignorierbar.
Das Camp prägte maßgeblich den öffentlichen Diskurs über Gruppenbleiberechte gemäß §23 Aufenthaltsgesetz und trug dazu bei, Gespräche über strukturelle Reformen und humanitäre Aufenthaltsperspektiven auf Landesebene anzustoßen.
Heute gilt das Protestcamp am Weißekreuzplatz als Meilenstein der Geflüchtetenbewegung in Deutschland – ein Symbol für eingeforderte Würde, für gelebten Widerstand und gelebte Solidarität. Sein Echo klingt bis heute nach – in migrantischen Selbstorganisationen, zivilgesellschaftlichen Allianzen und politischen Debatten in Niedersachsen und darüber hinaus.